Ich bin in der Lieblingsphase meines Läuferlebens
Niemals einen Marathon aufzugeben, das hat sich Johannes Motschmann vorgenommen. Bislang hat der Berliner das auch knallhart durchgezogen – egal, wie schwer der Lauf war. Wir sprechen mit ihm über seine nächsten Ziele und wie es ist, sich selbst zu coachen.
Words: Agata Strausa
Photos: Florian Kurrasch
Montagmorgen nach dem Berliner Halbmarathon, die Aprilsonne scheint auf die Hauptstadt, die langsam erwacht. Wir treffen Johannes Motschmann, 28, im minimalistisch-schicken Coffeeshop Refinery High End Coffee. Motschmann zählt zu den besten Marathonläufer Deutschlands – dabei hat er gerade erst angefangen. Läufer ist er allerdings schon lange, hat über 3.000 Meter Hindernis Erfolge erzielt und fünf Jahre lang in der US-College-Liga mitgemischt. Seinen Marathondurchbruch feierte er 2020 und ist seitdem dabei geblieben. Motschmann fühlt sich langsam angekommen, wie er Agata von más bei einem Matcha Latte in Berlin erzählt.
Coffee Talk mit Johannes Motschmann
Instagram: @johannes.motschmann
más: Wie geht es dir nach dem Berlin Halbmarathon?
Johannes Motschmann: Ich bin immer noch erkältet. Es ist doof, erkältet zu laufen, es macht keinen Spaß. Ich bin eben nach 10 Kilometern ausgestiegen.Ich hätte es einfach lassen sollen. Aber ich hatte ja schon Sevilla abgesagt, weil ich krank war. Das wollte ich kein zweites Mal. Letztes Jahr Berlin war auf jeden Fall nicer.
Da warst du ja auch bester Deutscher!
Ja, so ist es halt, das gehört dazu. Ich würde wahrscheinlich anderen sagen, „Bleib im Bett, lauf nicht!“ Aber ich finde es gut, dass ich es versucht habe. So ist es halt, jetzt bin ich wohl drei Tage länger krank.
Bei dir steht jetzt ein volles Programm an! Du fliegst ins Trainingslager?
Genau, es geht nach Denver, Colorado. Da hat mein College-Team-Mate ein Haus und ein Gästezimmer und hat gesagt, ich soll da immer hinkommen, weil er gerne Trainingspartner hat. Da bin ich dann drei Wochen. Und dann nochmal Halbmarathon in Istanbul.
Also direkt aus dem Höhentrainingslager an die Startlinie in der Türkei?
Ich fliege Dienstag in Denver los, komme Mittwoch in Deutschland an – und am Freitag geht es dann nach Istanbul. Warst du denn schon mal in der Höhe und hast du danach Erfahrung mit diesem Höhenloch gemacht?
Ja, ich war schon öfters im Höhentrainingslager in Flagstaff. Aber das Höhenloch kenne ich eigentlich nicht.
Ich war bislang einmal in Colorado, bin wiedergekommen und hatte nach fünf Tagen mein bestes Workout. Dabei sagen Leute, von Tag fünf bis zehn bist du im Höhenloch.
Vielleicht ist es ein Mythos, man kann sich viel einreden. Man könnte auch nur von der Reise müde sein oder vom harten Training in den Wochen davor. Aber zurück zu Istanbul: Was ist dein Ziel?
Auf jeden Fall auf PB zu rennen. Im Oktober findet die Halbmarathon-WM in Lettland statt. Da gibt es bislang leider immer noch keine Normanforderungen vom DLV. Deshalb will ich so schnell wie möglich laufen, sodass ich diese Norm, wenn sie steht, erfülle. Das Rennen sollte auf jeden Fall ziemlich heftig werden, mit einem starken Elitefeld. Der langsamste Pacer soll auf eine 61:00 laufen.
Oha! Du hast allerdings auch Letztens gesagt, dass du das beste Trainingsjahr deiner Karriere hattest.
Ich setze zum ersten Mal so richtig auf Leistungssport. Ich habe im Training auf jeden Fall gemerkt, dass ich Einheiten besser laufe. Aber es hat sich im Wettkampf noch nicht so widergespiegelt, auch wenn ich in Tokio Bestzeit (2:11:30 Stunden) gelaufen bin. Bei meiner Bestleistung von davor in Rotterdam habe ich nur nebenbei trainiert, nicht mit dem Fokus von jetzt. Und in Tokio bin ich jetzt nur 48 Sekunden schneller gelaufen.
Vielleicht ist es auch mental, man ist fokussierter, man will ja diese gute Leistung unbedingt, geht dadurch härter ran. Es gibt in Deutschland sehr viele gute Marathonläufer, man muss eine 2:08-Zeit laufen, um zu Olympia zu fahren. Ich bin in Tokio dementsprechend schnell angegangen und dann sehr gestorben.
Wann ist der nächste Marathon für dich geplant?
Das kommt drauf an. Berlin ist natürlich immer im Plan. Aber da nächstes Jahr Olympia ist, wollen viele gar nicht zur Weltmeisterschaft in Budapest fahren. Durch das World Ranking gibt es für mich eine Chance, mich für die WM zu qualifizieren. Wenn ich hinfahren könnte, dann würde ich das schon gerne machen. Ich könnte nicht zu einer WM nein sagen. Dann würde ich eher im Winter noch Valencia laufen. Wenn das aber nicht klappt, dann auf jeden Fall Berlin.
Was ist dann mit der Straßenlauf-WM in Riga eine Woche später?
Ja, entweder Berlin oder beide WMs, wenn das klappen würde. Beides ist mega cool. Bei so einer WM ist man ja doch irgendwie Tourist. Man gibt alles, aber als Deutscher hat man da jetzt nicht so viel zu melden. Berlin als Berliner zu laufen ist natürlich immer etwas Besonderes.
Wie viele Marathons hast du bisher schon gemacht?
Bisher sechs. Im Dezember 2020 einen (Debüt in Wien, Anm. d. Red., Zeit: 2:14:38), dann im Herbst darauf in Rotterdam (2:12:18) den nächsten. Einen Frühjahrsmarathon habe ich 2021 noch wegen meines Studiums ausgelassen. Damals habe ich Laufen schon ambitioniert, aber eben nur nebenbei gemacht. Dann kamen 2022 drei Marathons, was relativ viel war. Hamburg im April (2:17:08), der schlechteste bisher, wo ich auch Krämpfe bekommen habe und gehen musste. Aber mein Ziel ist es, niemals einen Marathon aufzugeben. Immer finishen, das ist meine Devise. Nach Hamburg kamen dann noch EM in München (2:14:52) und der Berlin Marathon (2:14:02). Und schließlich jetzt in Tokio der Sechste.
Was ist so die typische letzte harte Einheit vor dem Marathon?
Das ist immer anders. Ich versuche zu vermeiden, das Gleiche zu machen, weil man sich dann vergleicht. Und dann fangen die Spielchen im Kopf an. „Jetzt habe ich die Einheit langsamer gemacht als letztes Mal, bin ich jetzt in schlechterer Form?!“ Ich schreibe mein Training selbst, von daher habe ich da sehr viel Freiraum.
Kannst du trotzdem ein Beispiel für eine Einheit nennen?
Ich würde am Freitag in der Woche vor dem Marathon die letzte harte Einheit machen, also neun Tage vor dem Rennen. Am liebsten mache ich Tempowechseleinheiten. Vielleicht so etwas wie 8 x 2.000 m im Renntempo und 1.000 m Float in einer moderaten Pace, etwa 20 Sekunden langsamer, dazwischen. Sodass man nochmal 24 Kilometer Programm macht, mit drei Kilometern ein- und auslaufen, um insgesamt eine Belastung von 30 Kilometern zu haben.
“Das motiviert mich noch mehr, die Leistung abzurufen.”
- Johannes Motschmann
Hast du eine Einheit, die du gar nicht leiden kannst, aber machen musst?
Ich schreibe ja mein Training selbe, somit gibt es nicht die eine Einheit, die ich nicht mag. Was ich allerdings nicht mag, sind lange Einheiten ganz alleine. Sonst sind Speed Sessions in der Base Phase nicht so meine Lieblingseinheiten, weil ich da nicht so gut drin bin.
Was wäre dann deine Lieblingseinheit?
Mit Begleitung – der klassische Longrun. Ein progressiver Lauf, bei dem man vielleicht moderat in 3:40er-Tempo startet und sich steigert – und auf den letzten Kilometern Renntempo läuft. Mein Longrun ist normalerweise 35 Kilometer lang, in der Marathonvorbereitung versuche ich dann auch zweimal 40 Kilometer zu machen.
Wie haben dich deine fünf Jahre am College in den USA trainingstechnisch geprägt?
Ich bin der größte Fan vom College-System und dankbar für meine Zeit dort. Auch trainingsmäßig hat mich das sehr weitergebracht. Im College habe ich meine Umfänge sukzessive gesteigert. Zu Schulzeiten wurde beim SC Magdeburg viel “geballert“, aber wenige Kilometer gemacht. Am Iona College hingegen wurde eher nachhaltiger trainiert, mit mehr Umfängen und weniger Intensität. Ich denke, das hat mir geholfen, dass ich Jahre später immer noch laufe.
Was ich mir gar nicht vorstellen könnte, dass das ein deutscher Trainer macht, waren aber unsere Berganläufe: Einen Kilometer richtig steil berghoch laufen und mit dem Auto wieder nach unten fahren. Da ist der Coach mit dem Van hinaufgefahren und hat das ganze Team wieder nach unten gebracht – und das zehnmal hintereinander! Im Nachhinein denke ich, was ist das für ein komisches Training?! Aber zu dem Zeitpunkt war es extrem cool, vor allem mit dem Team.
War es schwierig für dich, als deine College-Zeit vorbei war?
Ja, auf jeden Fall. 2019 nach dem College habe ich gedacht, okay, das war es jetzt, besser wird es nicht. Da habe ich auch tatsächlich für vier Wochen aufgehört, das Laufen dann aber doch sehr vermisst. Nun muss ich sagen, dass gerade jetzt die Lieblingsphase meines Läuferlebens ist. Das toppt das College nochmal. Am College hat mir der Team-Aspekt sehr gefallen, dass man für etwas Größeres läuft, als sich selbst. Was ich jetzt sehr schätze, ist dieser Freiraum, der mir gegeben wird – auch vom Marathon Team Berlin. Ich kann wirklich machen, was ich an Training, Wettkämpfen und Trainingslagern will. Andere mögen es vielleicht lieber, jemanden zu haben, der ihnen sagt, du machst jetzt das Training und den Wettkampf. Aber mir gefällt es viel besser, dass ich das selber planen kann und selber dahinterstehe. Das motiviert mich noch mehr, die Leistung abzurufen.
Vielen Dank für das Gespräch!