Drei Blockbuster Momente in Istanbul
Bei den Europameisterschaften in der Türkei kamen die besten Läuferinnen und Läufer des Kontinents zusammen, um sich auf der asphaltgrauen Hallenbahn Istanbuls zu messen. Welche drei Entscheidungen für Nervenkitzel gesorgt haben, lest ihr bei más.
Words: Agata Strausa
Photos: Diego Menzi
In der türkischen Hauptstadt Istanbul ist vom 2. bis 5. März die Hallen-EM über die Bühne gegangen. Wir waren sowohl digital als auch live vor Ort dabei. Diese Laufentscheidungen werden wir nicht so schnell vergessen:
Warum ist Jakob Ingebrigtsen so angespannt?
Im 1.500-Meter-Finale der Männer hatte der Ausnahmeläufer aus Norwegen die Zielscheibe auf dem Rücken. Jakob Ingebrigtsen hatte bei der letzten Hallen-EM die Titel über 1.500 Meter als auch 3.000 Meter geholt. In Europa ist der Olympiasieger und Weltmeister so gut wie unangefochten. Trotzdem sollte es in Istanbul für einen kurzen Moment spannend werden.
Als vor dem Start die Fernsehkamera über das Starterfeld schwenkte, wirkte der große Favorit ungewöhnlich angespannt. Die Kamera fixierte sein Gesicht: Jakob atmete tief ein, zog seine Schultern zu den Ohren und ließ sie wieder fallen, atmete aus. War er etwa nervös?
Kurz nach dem Startschuss setzte sich der Norweger schon an die Spitze des Feldes, ungewöhnlich früh. Und er drückte aufs Tempo. Bei einem solchen Move des Titelverteidigers ist klar: Er meint es ernst. Es wird keine Gnade für die Konkurrenz geben. Der schnellste Mann der Saison wird alles tun, um niemanden an sich vorbeizulassen. Wer sollte es auch wagen?
Auf der letzten Runde des Rennens sah es dann aber so aus, als ob Neil Gourley das Finale ein bisschen spannender machen könnte. Der Brite, der Jakob ganz dicht an den Hacken klebte, scherte plötzlich auf Bahn zwei aus. Neil wagte fast etwas Freches: Er schien zu glauben, den ganz großen Favoriten schlagen zu können. Am Ende war die Sache aber entschieden: Jakob hielt das Tempo hoch, ließ Neil nicht heran und rannte zu seinem nächsten EM-Titel.
Die Ergebnisse in der Übersicht:
1. Jakob Ingebrigtsen 🇳🇴 3:33.95
2. Neil Gourely 🇬🇧 3:34.23
3. Azeddine Habz 🇫🇷 3:35.39
Bester Deutscher: Amos Bartelsmeyer kam über die Vorläufe nicht hinaus.
Die Revanche: Kick it like Hanna, take it like Koko
Im Finale über 3.000 Meter der Frauen galt die Deutsche Meisterin Konstanze (Koko) Klosterhalfen als die Favoritin. Mit einer Saisonbestleistung (SB) von 8:34.89 Minuten ist keine andere Läuferin in Europa so schnell wie sie gewesen. Auf Rang zwei der Bestenliste stand aber auch schon die Deutsche Vizemeisterin Hanna Klein. Würde es im EM-Finale ein spannendes Duell geben?
Konstanze setzte sich nach den ersten 1.000 Metern an die Spitze des Feldes und drückte aufs Gas. Hanna sprang auf den Zug auf. Koko versuchte zwar, eine Lücke zu reißen, doch Hanna und schließlich auch die Britin Melissa Courtney-Bryant holten auf. Im weiteren Verlauf des Rennens ließ das Trio das Feld deutlich hinter sich. 400 Meter vor dem Ziel waren es nur noch Koko und dahinter Hanna, die sich abgesetzt hatten und um ihr Leben zu rennen schienen.
Was Hanna wohl gerade durch den Kopf ging? Würde sie Koko irgendwann ziehen lassen müssen? 150 Meter vor dem Ziel, auf der Gegengeraden, kam der entscheidende Move von Hanna. Sie pumpte mit den Armen, zog mit Koko gleichauf und ging an der Favoritin vorbei. Ohne zurückzublicken. Koko ruderte mit dem Kopf, sie versuchte offensichtlich, die letzten Kräfte zu mobilisieren, um alles rauszuholen, was noch im Körper war, um Hanna einzuholen. Ganz klar, das tat gerade weh, die Führung so knapp vor dem Ziel zu verlieren.
Doch es half nichts: Hanna war nicht mehr einzuholen und holte sich den EM-Titel. Es war ein packender Zweikampf um Gold. Die beiden haben gezeigt, wie gut das Level über die Mittel- und Langstrecken in Europa geworden ist. Und die Silbermedaillengewinnerin Koko hat ebenfalls gezeigt, wie wichtig es ist, mit Niederlagen umgehen zu können. “Ein Doppelsieg ist schon cool, auch wenn gerade die Enttäuschung noch etwas überwiegt,” gab sie in einem Interview mit leichtathletik.de zu. Ein ehrliches Statement, aber ein souveräner Umgang.
Die Ergebnisse in der Übersicht
1. Hanna Klein 🇩🇪 8:35.87
2. Konstanze Klosterhalfen 🇩🇪 8:36.50
3. Melissa Courtney-Bryant 🇬🇧 8:41.19
Anmut in Bewegung: Keely Hodgkinson dominiert über 800 Meter
Wie hätte es auch anders laufen sollen im Finale der 800 Meter Frauen? Keine Läuferin dominiert in Europa derzeit diese Distanz so wie die Britin Keely Hodgkinson. Überlegen lief die 21-Jährige durch die Vorrunden. Selbstsicher und immer gefasst – als würde sie das schon seit Jahren so machen.
Im EM-Finale war das nicht anders, als alle Augen auf sie gerichtet waren. Keely setzte sich von Beginn an vor das Feld. Keine Spielchen, keine Taktiererereien. Stattdessen legte Keely eine ehrliche Pace an und passierte die erste Runde in 58 Sekunden. Schon konnte kaum eine andere Läuferin folgen. Die Verfolgerinnen waren abgeschlagen. Keely läuft derzeit der Konkurrenz einfach davon. War es deshalb ein langweiliges Finale, weil das Ergebnis vorhersehbar war? Auf keinen Fall! So elegant und anmutig wie die Vize-Olympiasiegerin und -Weltmeisterin Keely läuft, könnte man ihr auch noch länger zuschauen. Poetry in Motion. Am Ende kam sie 1:58,66 Minuten ins Ziel – im Alleingang. Sie ist absolute Weltspitze. Ihren Erfolg in Istanbul widmete Keely im Übrigen ihrem kürzlich verstorbenen Coach. "Ich hatte noch keine Zeit, das zu verarbeiten", erzählte sie im Gespräch mit BBC. "Er hat an mich als 10-Jährige geglaubt."
Die Ergebnisse in der Übersicht:
- Keely Hodgkinson 🇬🇧 1:58,66
- Anita Horvat 🇸🇮 2:00,54
- Agnès Raharolahy 🇫🇷 2:00,85
Beste Deutsche: Majtie Kolberg auf Platz in 2:03,65.
Kämpfer des Wochenendes: Sam Parsons
Während die Frauen mit Gold und Silber im Finale über 3.000 Meter ein Zeichen für den Laufsport in Deutschland setzten, war von den deutschen Mittel- und Langstrecklern eher wenig zu sehen. Die einzige Finalteilnahme sicherte sich Sam Parsons über 3.000 Meter. Beim souveränen Siegeslauf des Norwegers Jakob Ingebrigtsen, der seinen nächsten Titel in einem neuen Landesrekord holte, sicherte sich Sam einen soliden 7. Platz in 7:48,01.
Das Ergebnis sei für ihn alles andere als ein märchenhaftes Ende gewesen, fasst Sam nach dem Rennen auf Instagram zusammen. “Verrückt, dass vor ein paar Jahren schon die Qualifikation zu solchen wichtigen Rennen die Erfüllung eines Traumes war”, so der 29-Jährige, der in den USA trainiert. Er gibt sich ehrgeizig: “Meine großen Ziele sind am Ende des Sommers.” Dann finden in der ungarischen Hauptstadt Budapest die Leichtathletik-Weltmeisterschaften statt. Es verspricht ein spannendes Wiedersehen mit den besten Läuferinnen und Läufern der Welt zu werden.